Wo bitte geht’s hier zur Wirtschaftspresse ?
Unternehmen mit großem Umsatz stellen hohe Ansprüche an ihre PR. „Bringen Sie uns in die Wirtschaftspresse“ ist ein Satz, mit dem jeder Agenturmitarbeiter früher oder später konfrontiert wird. Die Begeisterung von Unternehmern für klassische, gedruckte Wirtschaftsmedien wie „Handelsblatt“, „Capital“ oder „impulse“ ist auch im digitalen Zeitalter ungebrochen, schließlich gilt deren Premium-Leserschaft als ebenso kaufkräftig wie einflussreich. Und seien wir mal ehrlich, wer möchte seine Unternehmensnews nicht „den Chef-Etagen Deutschlands“ („WirtschaftsWoche“) und den „Entscheidern und Führungskräften“ („manager magazin“) präsentieren?
Doch wie viele Top-Entscheider erreicht die deutsche Wirtschaftspresse in Zeiten chronischen Auflagenschwunds überhaupt noch? Wer die „harte Auflage“ (Einzelverkäufe zum regulären Preis + Abonnements) der einzelnen Titel (IVW 4/2013) betrachtet, kommt zu einem heterogenen Ergebnis: Während „FAZ“ (261.787 Exemplare, – 2,7 %), „WirtschaftWoche“ (91.435 Exemplare, – 7,6 %) und „Capital“ (51.464 Exemplare, – 14,3 %) im Vergleich zum Vorjahr weiter an Boden verlieren, legen „Handelsblatt“ (87.791 Exemplare, + 1,8 %) und „manager magazin“ (74.806 Exemplare, + 1,9 %) leicht zu. Die Entwicklung des Gesamtmarktes der Wirtschaftspresse ist hingegen eindeutig: Die Wirtschaftstitel verlieren beständig an Reichweite, die Auflagenverluste übersteigen die Zugewinne.
Ironischerweise ist die große Stärke der deutschen Wirtschaftspresse – die exklusive Leserschaft – gleichzeitig ihre Achillessehne. Denn die Stammleser der Wirtschaftsmedien sind trotz des tiefgreifenden wirtschaftlichen Wandels (Stichworte: Globalisierung, Regionalisierung, Dienstleistungsgesellschaft) weitgehend dieselben geblieben und nahezu homogen. Zur Illustration: Der typische „WiWo“-Leser ist männlich, zwischen 50 und 59 Jahren alt, Akademiker, leitender Angestellter bei einem Großunternehmen und verdient mehr als 3.000 Euro netto im Monat. Frauen, Personen unter 40, oder Beschäftigte außerhalb der klassischen Industrien erreichen „manager magazin“, „Capital“ & Co. hingegen kaum.
Während die klassischen Wirtschaftsmedien alle mehr oder weniger im selben schrumpfenden Teich nach Lesern fischen, setzen jüngere Wirtschaftmagazine auf neue Zielgruppen: „Business Punk“ berichtet als Business-Lifestyle-Magazin unter dem Motto „work hard, play hard“ zweimonatlich über erfolgreiche Business-Rebellen, Ideen, Innovationen und Trends, vorwiegend aus der ITK-Szene. Die Leserschaft – vor allem 20 bis 35 Jährige – wächst beständig (42.000 verkaufte Exemplare nach Angaben von G+J).
„enorm – Wirtschaft für den Menschen“ („harte Auflage“ 19.125 Exemplare laut IVW 04/2013) setzt hingegen auf die Themen Social Entrepreneurship, CSR, nachhaltiges und ökologisches Wachstum. Hierfür interessieren sich mehrheitlich jüngere Frauen mit Hochschulabschluss in urbanen Regionen. Die Auflage hat sich im vergangenen Jahr mehr als verdoppelt.
Der Trend bei den Wirtschaftsblättern scheint also zu neuen, jüngeren und weiblicheren Zielgruppen zu gehen. Aber auch Wirtschaftsmedien mit konventionellerem Themenmix sehen noch Potenziale: Das digitale Finanzmagazin „Börse am Sonntag“ erscheint Ende des Monats erstmals als Printversion. Außerdem plant Axel Springer für Mai 2014 die erste deutsche Ausgabe von „Bilanz“ – dem führenden Schweizer Wirtschaftsmagazin. Die Chancen stehen also gar nicht so schlecht, dass die Wirtschaftspresse in Deutschland wieder etwas bunter wird.
Bildquelle: Zeitungen von Nicholas Boos via flickr (CC BY-ND 2.0)