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Von Internetgöttern und dem Wunsch nach mehr Langsamkeit

Bild von secretlondon123 via flickr (CC BY-SA 2.0)

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Früher war man eine ganze Weile beschäftigt, wenn man sich ins Internet einwählen wollte: Rund eine Minute lang musste man das verstörende Dröhnen und Summen des Modemgeräts ertragen. Von einem gesamtgesellschaftlichen Trauma zeugen zahlreiche Youtube-Videos, welche dem nervenzerreibenden Sound des heute altertümlichen Apparates gedenken. Eine besonders laute und zerstörerische Kostprobe dieser damals High-Tech verheißenden Melodie bekam man, wenn man während der Internetnutzung den Telefonhörer abnahm, quasi als Strafe: „Entweder du gehst ins Internet ODER du telefonierst!“. Das alles sorgte dafür, dass ein Ausflug ins Internet eine Menge Zeit kostete.

In meinem persönlichen Fall kam erschwerend hinzu, dass ich mich vor jedem Besuch des World Wide Web mit meiner zwei Kilogramm schweren Kabelrolle von meinem Kinderzimmer durch den Flur ans Telefonschränkchen begeben musste. Dann hieß es LAN-Stecker rein, das Kabel meterweise aus der Rolle ziehen, durch den Flur, zurück ins Zimmer, dort das Kabel am PC anschließen, auf das Modem warten (tirilililiiiiii), Versuch gescheitert, noch einmal versuchen, erst dann war es vollbracht. Die Wartezeit auf das Laden einer Internetseite ist da noch ein ganz eigenes Kapitel.

Stories als Oasen der Entschleunigung

An diesen Internet-Odysseen gemessen müssten wir heute unendlich viel Zeit haben: Die Arbeit im Büro funktioniert zehn Mal so schnell, weil man in der Regel nicht auf die Gunst des Internetgottes (das war für mich damals der ins Netz verhelfende „Smart-Surfer“) hoffen muss. Trotzdem lässt sich auf unseren Freizeitkonten im Gegensatz zu den 90ern kein sichtbares Plus verzeichnen. Der Soziologe Hartmut Rosa beschäftigt sich mit dem Thema Beschleunigung und stellt fest: Je mehr sich unsere technische und kommunikative Welt beschleunigt, desto mehr beschleunigen wir selbst uns auch. Keine moderne Errungenschaft wird also je dazu führen, dass wir mehr Zeit haben, da wir unser Arbeitspensum immer wieder aufs Neue an die gegebenen Möglichkeiten anpassen. Wichtig sind deswegen, so Rosa, „Oasen der Entschleunigung“.

Gerade der Kommunikationsbereich, der so schnelllebig ist wie kein anderer, wo von einer Sekunde auf die andere shitstorms entstehen und wo es um das schnelle Auffassen von Infos geht, könnte hiervon lernen. Natürlich brauchen manche Themen eine schnelle Verarbeitung; sie vermitteln dann in kürzester Zeit Wissen oder ermöglichen einen weltweiten Dialog zu einem weiß-goldenen (oder eben blau-schwarzen) Kleid. Woanders kann jedoch auf Content gesetzt werden, auf kreative Inhalte, die zum Nachdenken anregen oder auch das Allgemeinwissen auffrischen. Wer den Menschen gute Texte bietet, ermöglicht ihnen eine Oase der Entschleunigung; eine Möglichkeit, sich in der Büropause zurückzulehnen und etwas zu tun, was nicht schnell passieren muss, aber unterhaltsam ist. Diesem Bedürfnis sollte auch die Kommunikationsbranche nachkommen – wer sein Leben aber wirklich verlangsamen will, der kauft sich am besten wieder ein Modem. Tirililiiiii.


Bildquelle: Analogue Modem by secretlondon123 via wikipedia/wikimedia (CC BY-SA 2.0)

 

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