Selbstgemacht - ein soziales Schutzschild

Selbstgemacht! Vorige Woche wollte ich etwas loswerden und habe es über die facebook-Gruppe Free your Stuff Frankfurt verschenkt. Die Beschenkte hat sich bedankt – leider mit einem Riesenglas selbstgemachter Marmelade: Apfel-Zucchini. Shit. Selbstgekauftes kann man ablehnen, Selbstgemachtes nicht. Es hat diesen Heiligenschein von liebevoll.

Ist es dann auch noch toll selbstgemacht – wie vom Profi –, vielleicht sogar experimentell kreativ, dann gilt das als eins der kleinen Weltwunder. Supertalent-Stoff.

Bei Selbstgemachtem verzeihen wir auch Macken. Grammatikfehler oder Dellen im Dekor – alles kein Problem. Die Assoziations-Spirale ist seit Jahren eine Runde weitergedreht: Professionelles gibt sich den Anschein des Dilettantischen, baut mit Absicht kleine Fehler ein um den Charme des Selbstgemachten abzustauben. Denn das gibt einem so ein heimeliges Gefühl von persönlicher Beziehung und Geschichte.

Welpen-Schutz für Anfänger

Industrie-XXX ist ein Schimpfwort, besonders beliebt dagegen der Autodidakt und das Naturtalent. Sie bekommen für ihr Können die größte Anerkennung. Und wer das, was er in seiner Freizeit tut, nicht wirklich kann, ist oft trotzdem stolz darauf und kommt damit durch. Selbst die anonyme Netzöffentlichkeit ist erstaunlich höflich und hält sich mit Kritik zurück – oder mit Aufmerksamkeit. Hobby-Künstler, -Köche und Kinder werden gelobt für ihr Selbstgemachtes, egal wie übel es aussieht. Wie selbstverständlich dieses Loben ist, merkt man an der eigenen Reaktion auf Falks „Kinderlied“:

Sag mal, was ist das denn?
Ach, das hast du selbst gemalt,
Na gut, ich will mal so sagen, das sieht man.

Mein Güte, wie das ausschaut
Und du hast auch noch geprahlt,
Das sei schön und dass man’s aufhängen kann.

Das ist hässlich, das ist hässlich,
So dass man sofort erkennt,
Dass du bloß ein großes Maul hast, Aber sicher kein Talent. 

[…]

Hast du vielleicht, hast du vielleicht

Schon ne Kernkompetenz?

Und jetzt komm mir nicht mit Basteln, Du kaputte Existenz.

Wer das Etikett Anfänger ablegt, hört sowas in der Richtung öfter und ein Profi steht per se nicht im Wunderlicht: Backt die ehemalige Konditorin eine fantastische Kindergeburtstagstorte, heißt es: Na, die hat das ja auch mal gelernt! Liefert sie semi-ästhetischen Standard ab, ist die Häme groß. Definitiv kritisieren darf man bezahlte Profis.

Wahre Träume statt der billigen Gier nach Macht und Geld

Im unprofessionellen Leidenschaftsbereich aber interessiert uns sehr viel weniger die Qualität; es geht immer auch um die Person und das, was die Sache ihr bedeutet. Im besten Fall lassen wir uns so von ihr berühren und erleben sie emotional mit. Wir mögen es, zu spüren, dass es jemand ernst meint oder der Spaß echt ist. Es geht um Authentizität, sie ist faszinierend und steckt an. Wir beobachten authentische Menschen auch gern. Wenn sie dann noch gut sind und wir mit ihnen in Kontakt treten können, an ihrem Erfolg teilhaben und ihnen unsere Stimme geben können: super. Viele Berufspolitiker kriegen sie daher nicht mehr: Zu wenig greifbare Person, zu viel Professionalität, Macht- und Profit-Interessen.

Ganz anders sehen wir den idealen Blogger und YouTuber: Jemand lebt öffentlich seine Privatleidenschaft aus und lässt alle teilhaben – oft ohne Bezahlung, ohne Berechnung. Er zeigt, was er liebt und fragt nicht erst lange, ob es denn auch jemandem gefallen könnte und er etwas dafür zurückbekommt. Das ist Mut zum Risiko und kommt luxuriös rüber – wer kann es sich schon leisten, das zu tun, was er aus Lust einfach so tun will? Ein Küchenkachelspruch, mehr nicht. Und ein Held, wer es doch schafft!
Ähnlich ist es bei Startups und Kickstarter-Projekten: Immer sehen wir die Menschen. Wir sehen, wer dahintersteht. Er erzählt uns voller Leben authentisch seine Geschichte, seine Leidenschaft und wir können zu ihrem Erfolg beitragen.

Je mehr Selbst im Gemachten drinsteckt – Träume, Gefühle, Ideen, Schicksal und Lebenszeit –, desto mehr fiebern und finanzieren wir mit. Bis derjenige uns vielleicht doch zu professionell, bezahlt und abgehoben wird. Je greifbarer und unbedarft-verletzlicher jemand ist, mit desto mehr Empathie und Engagement kann er rechnen. Wer aber das Label selbstgemacht ohne Authentizität nutzt, dem fliegt die Kritik um die Ohren. Erst recht, wenn er offensichtlich damit Geld verdienen will. Bibi hat es letzten Freitag mit WAP und BAP bewiesen.

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