Outside the Bubble
Eine Sehnsucht nach Vorgestern macht Politik – trotzig und aggressiv. Sie befällt die, die in der digitalisierten Lebenswelt keinen Platz für sich sehen und richtet sich in den USA gerade auf einen hemdsärmeligen Mann, der „hard-working Americans“ anspricht. Harte Arbeit – dabei denken wir zwar auch an Berufe wie Krankenpfleger, vor allem aber an viele, die es dank Automatisierung kaum noch gibt. Roboter schweißen, kleben und montieren in der Autoindustrie; Menschen braucht sie kaum noch und auch „Fleißarbeit“ ist – begleitet von „stupide“ – zum Schimpfwort geworden. Das können Maschinen. Jeder zweite Arbeitsplatz soll in den nächsten zwanzig Jahren automatisiert werden können. Seit Ende Oktober spuckt der Job-Futuromat der ARD-Themenreihe „Zukunft der Arbeit“ aus, wie viel Prozent eines Jobs schon jetzt ein Roboter machen könnte: Der des Bürokaufmanns liegt hier bei 67 Prozent, PR ist mit 17 bis 20 Prozent angegeben. Aktuell könnte jeder dritte Beruf zu 50 bis 100 Prozent von Maschinen ausgeführt werden – und nicht nur alte. Wer sich durch Automatisierung in seinem Wert herabgesetzt sieht, den packt leicht die Sehnsucht nach dem Vorgestrigen, vielleicht auch danach, durch Geburt zu den Wertvollen zu zählen und nach einer Wirtschaft und Politikern, die sie verstehen.
Wahlwunsch Früher
Die Digitalisierung ersetzt an der Börse wie im Reisebüro Menschen, die Bestellungen entgegennehmen, ermöglicht Kassen ohne Kassierer und wer bisher Produktbeschreibungen, Spiel- oder Wetterberichte verfasst hat, trainiert und überwacht vielleicht schon jetzt einen Bot, der das viel schneller kann. Es ist gerade die moderne, digitale Lebenswelt, die auch mit dem Ideal der Gleichberechtigung aller Menschen zunehmend glaubwürdig Ernst macht. Damit fallen die gesellschaftlichen Privilegien weg, die sich ein abgehängter weißer, christlicher Amerikaner (und Europäer) des 20. Jahrhunderts trotz allem ausmalen konnte. Als sein Retter tritt Trump auf: Er steht für eine Industrie, die zu funktionieren scheint wie früher. Mit Bauen kann man offenbar immernoch reich werden. Trump und seine Anhänger haben sich im Wahlerfolg gerade gegenseitig versichert, dass ihre Welt weiterbesteht und man auch im Jahr 2016 ein rassistischer, sexistischer Sack sein kann, der sich demonstrativ keine Mühe zu politischer oder sonstiger Korrektheit gibt – während wunderschöne weiße Frauen dazu von der Bühne lächeln.
Meinungspole in der Filterblase
Dass wir die Stärke der Trump-Wähler viel zu niedrig eingeschätzt haben, auch das scheint mit der Digitalisierung zusammenzuhängen: Sie sind weniger Teil der digitalen Welt, von big data schlecht erfasst und so auch bei den Wahlprognosen hinten runtergefallen. Nicht zuletzt hält unsere Filterblase sie uns vom Hals: Algorithmen sorgen im Netz dafür, dass Meinungen und News von der anderen Seite des Meinungsspektrums uns nicht erreichen. So ist das Meinungsklima polarisiert, ohne dass man es im Alltag merken müsste. Das Tempo der digitalen Transformation ist hoch; um eine ganze Gesellschaft mitzunehmen aber braucht es Zeit. Der Durchschnittsstandpunkt stimmt wahrscheinlich mit dem Historiker Andreas Rödder überein, der im brand eins-Schwerpunkt Digitalisierung im Juli von einer „Internet-Hysterie“ spricht, „die so tut, als hätte jeder, der nicht im Kapuzenpulli durchs Silicon Valley läuft, den Kontakt zur Gegenwart verloren.“
Effizienz über Menschen
Sascha Lobo hat am 2. November auf Spiegel online eine diffuse Angst vor Digitalisierung in der Gesellschaft festgestellt und hält es für sinnvoll, sie in eine begründete Furcht zu verwandeln: „Im Digitalkapitalismus wird man darum kämpfen müssen, welche der Effizienzen gehoben werden sollen – und welche nicht gehoben werden dürfen, weil sie mit den Wertvorstellungen der Gesellschaft in Konflikt stehen. Und davor kann man sich hervorragend fürchten.“ Laut einer Studie von Sopra Steria Consulting zur digitalen Überforderung in der deutschen Arbeitswelt tun das 20 Prozent der deutschen Arbeitnehmer bereits: Jeder fünfte fürchte sich vor der Einführung neuer Digitaltechnologien. Hauptursache dafür sei die Unsicherheit darüber, welche Folgen ihr Einsatz auf den eigenen Arbeitsplatz haben könnte. In einer repräsentativen Umfrage des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), dem DGB-Index 2016, gaben 60 Prozent der Befragten an, ihre Arbeit sei in hohem oder in sehr hohem Maße von der Digitalisierung betroffen. Davon sagte etwa jeder zweite, seine Arbeitsbelastung sei durch die Digitalisierung gestiegen und 56 Prozent, es sei mehr Multitasking nötig. Nur 9 Prozent hielten ihre Belastung für geringer als vor der Digitalisierung.
Die Economist Intelligence Unit (EIU) hat im März 2016 weltweit eine Umfrage zum Thema ‚What Makes Digital Leaders‘ unter 514 Führungskräften durchgeführt und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Mehrheit (54 Prozent) der Unternehmen durch digitale Transformation die Effizienz steigern will. Letztlich heißt das: mit weniger Personaleinsatz das gleiche Ergebnis erwirtschaften. Wenn so weniger Menschen direkt am Gewinn beteiligt sind und sie keine andere Möglichkeit der Beteiligung für sich sehen, werden sich mehr nach Vorgestern sehnen und entsprechend wählen. Berufe, die aktuell zu 100 Prozent nur Menschen statt Maschinen können, gibt es aber auch noch: Hier nennt der Job-Futuromat Travestie-Künstler und Zahnarzt, Maurer, Zimmerer und Pressesprecher.