Google, König der Online-Kommunikation?
Onlinekommunikation ganz ohne Google, Gmail, Google Maps und Co? Heute kaum mehr vorstellbar*. „Googlen“ und „YouTuber“ sind längst Teil unserer Alltagssprache. Da passt es nur zu gut, dass die frisch umstrukturierte Google-Muttergesellschaft den Namen ‚Alphabet‘ verpasst bekommen hat. Allerdings scheint der Internet-Riese noch ein paar Schwierigkeiten zu haben, wenn es um die eigene Kommunikation geht. Ein besonders schönes Beispiel dafür ist „YouTube Red“, das neue Versuchskaninchen der Google-Tochter YouTube, das 2016 auch in Deutschland an den Start gehen soll – und dessen namentliche Ähnlichkeit zu einem Videoportal der rot leuchtenden Art online schon jetzt für viele Frotzeleien gesorgt hat.
In den USA läuft die ‚Premiumvariante‘ von YouTube seit Ende Oktober 2015. Für 10 Dollar im Monat können in den USA ansässige Zuschauer Mitglied werden und sich so die lästigen Pre-Roll-Ads vor dem Schauen von Videos sparen. Zusätzlich wird es exklusiven Content nur für Mitglieder geben. Dafür wurde unter anderem Mega-YouTuber PewDiePie verpflichtet, der mit seiner eigens für YouTube Red-Mitglieder produzierten Reality-Show „Scare PewDiePie“ 2016 wohl einige seiner über 41 Millionen (!) Abonnenten zu YouTube Red locken wird. Eine Downloadfunktion und eine Mitgliedschaft bei Google Play Music gibt es obendrauf.
Ein ungelenker US-Launch
Das wäre ja alles gut und schön, wäre der US-Launch vernünftig kommuniziert worden. Denn während der Mangel an Informationen den Zuschauer wahrscheinlich nur erstaunt oder ein wenig verunsichert hat, stellte er viele YouTuber vor Probleme einer unangenehmen Größenordnung.
Zuerst einmal wurden die bezahlten YouTube-Partner vor die Wahl gestellt: entweder die neuen Bestimmungen von YouTube Red absegnen oder die Privatisierung der eigenen Videos in den USA in Kauf nehmen. Das bedeutet, dass die Videos von Red-Verweigerern für alle Viewer gesperrt werden – egal ob mit oder ohne YouTube-Red-Account. Eine Wahl? Wohl kaum.
Wer bisher mit YouTube Geld verdient hat, bekam Anteile an den Einnahmen aus Werbeanzeigen ausgezahlt. Da diese für die werbefreien YouTube Red-Zuschauer wegfallen, wurde ein neues beitragsfinanziertes Bezahlsystem eingeführt, das laut FAQ der YouTube-Hilfe „neben den Werbeeinnahmen eine weitere Umsatzquelle für Videokünstler“ darstellt. Eine weitere Umsatzquelle? YouTube-Red-Nutzer generieren keine Werbeeinnahmen mehr, also handelt es sich höchstens um eine alternative Umsatzquelle.
Wie genau sich das neue Einkommen errechnet, hat YouTube nicht bekannt gegeben, die Grundlagen sind jedoch öffentlich: Die 10 Dollar, die man als Abonnent bezahlt, werden sinnbildlich in einen großen Topf geworfen, ein Anteil geht an YouTube, der Rest geht an bezahlte YouTube-Partner. Der Anteil der YouTuber wird nach „Watchtime“ aufgeteilt – je länger Content von einem Creator gesehen wird, desto mehr Geld bekommt er ausgezahlt. Die durch ‚Nicht-Red-Zuschauer‘ generierten Werbeeinnahmen werden natürlich weiterhin ausgezahlt.
YouTuber über YouTube Red
Zweifel am vage kommunizierten Bezahlsystem kamen auch bei vielen YouTubern auf. Einige von ihnen haben sich schon im Voraus dazu geäußert, darunter auch der britische YouTuber Daniel Hardcastle, der einen Kanal mit rund 2,4 Millionen Abonnenten betreibt. In seinem mit „All about YouTube Red“ betitelten Video geht er auf die befremdliche Kommunikationspolitik von YouTube ein.
Zum Zeitpunkt des Launches wusste auch er nicht viel mehr über YouTube Red als jeder andere Internet-Nutzer auch. Er sprach von einem ungetesteten Experiment, das für viele schlaflose Nächte sorgte. Neben seinem eigenen Einkommen hänge auch das seiner Angestellten von YouTubes Entscheidungen ab. Durch die mangelnden Informationen lässt sich kaum abschätzen, wie viel er künftig an seinen Videos verdienen wird und wie drastisch sie die Umstellung auf sein Unternehmen auswirken wird. Er räumt ein, dass sich YouTube Red möglicherweise auch als finanzielle Verbesserung herausstellen könnte, aber dass YouTube allein durch die erzwungene Einführung für großes Misstrauen sorge.
YouTube Red als Chance
Es gibt tatsächlich Gründe, die YouTube Red zu einem erfolgreichen System machen könnten. In den vergangenen Jahren haben sich Werbefilter wie AdBlock etabliert, die ganz ohne YouTube Red für werbefreie Videos sorgen – aber auch Creator und YouTube selbst um einen beträchtlichen Teil ihrer Werbeeinnahmen bringen. Hardcastle gibt beispielsweise an, dass mittlerweile nur noch 40% seiner Zuschauer die Werbung vor seinen Videos regulär sehen und damit 60% seiner Views im geldleeren Raum verpuffen. YouTube Red hat das Potenzial, diese finanziellen Einbußen zu reduzieren – wenn auch fraglich ist, ob das AdBlock nutzende Publikum sich in großer Zahl für eine Red-Mitgliedschaft entscheiden wird.
Diese Pläne zur Umstrukturierung von YouTube sind nicht einfach aus dem Nichts entstanden: Laut Wall Street Journal schrieb YouTube auch 2014 noch keine schwarzen Zahlen und Google sucht nach neuen Wegen, um die Videoplattform rentabel zu machen. Unter Umständen könnte sich YouTube Red in Zukunft zu einem ernsten Konkurrenten für Netflix und Spotify entwickeln und für eine gewisse Unabhängigkeit von Werbeeinnahmen führen. Wenn sich nur jeder zehnte YouTube-Nutzer für eine Red-Mitgliedschaft entscheiden würde, wären das laut Horizont immer noch viermal mehr Mitglieder als Spotify aktuell hat.
Alleinherscher Google?
Nun stellt sich aber die Frage, warum Google diese große Chance verschenkt und seine offiziell „Videokünstler“ genannten Partner nicht ins Boot holt. Weshalb sollten Hardcastle und Co dieses System promoten? Warum sollten sie ihren Zuschauern ein unsicheres System empfehlen, anstatt weiter wie bisher auf Werbung und Crowdfunding-Plattformen wie Patreon zu setzen, bis feststeht, ob YouTube Red überhaupt funktioniert? Oder gehört der Umgang mit YouTube zum Konzept der Google-Mutter Alphabet, deren Gründer selbstbewusst verkünden: „you need to be a bit uncomfortable to stay relevant“? Ein selbstsicheres ‚Wir müssen die Reichweiten unserer Partner gar nicht nutzen‘?
In den nächsten Monaten wird sich herausstellen, ob das ominöse YouTube Red den Sprung über den Atlantik schafft und tatsächlich auch in Deutschland eingeführt wird. Es bleibt spannend, ob Google/YouTube Videomacher und Videoschauer von seinen neuen Ideen überzeugen kann oder weiterhin die Geschicke von YouTube losgelöst von seiner Community aus dem Off diktiert. Denn auch wenn Googles Einfluss kaum zu überschätzen ist, könnte er noch einmal immens steigen, wenn zumindest ein Teil der Millarde Nutzer überzeugte Google-Fans wären.
Ein Tipp zum Schluss: Wer sich über YouTube Red infomieren möchte, sollte dazu verschiedene Suchmaschinen nutzen. Während die Google-Suche natürlich eine schöne Auflistung offizieller Seiten und Portale ausspuckt, liefert beispielsweise Bing ein deutlich abweichendes Suchergebnis.
*Nagut, auf Google+ könnte man verzichten.