Flüchtlings-Kampagne wird zum Virus
Ein stummer Schrei – nein, das ist die Flüchtlings-Kampagne der „Aktion Arschloch“ ganz gewiss nicht! Mit viel Getöse und Tamm-Tamm hat der über 20 Jahre alte Song „Schrei nach Liebe“ der Popband „Die Ärzte“ erstmals Platz 1 der Deutschen Charts erobert. Und das dank der Viralität im Internet. Weit über 125.000 Fans hat die Aktion auf Facebook; bei Twitter hielt sich der Hashtag #AktionArschloch tagelang in den Trends. Viral-Kampagnen an sich sind nichts Neues mehr, welche Macht sie haben können, ist längst bekannt. Auch gegen Fremdenfeindlichkeit gibt es schon viele dieser Kampagnen, wie zum Beispiel diverse Blog-parades, Selfie-Aktionen etc – siehe auch.
Neuer beim „Arschloch-Virus“ ist allerdings, dass der „Virus“ auch andere Medien befällt: Die „Aktion Arschloch“ rief zum Beispiel dazu auf, den Song nicht nur aus dem Netz zu laden, sondern ihn sich auch im Radio zu wünschen. Als Flashmob z. B. in Münster griff der Virus auch im öffentlichen Raum zu. Dass er vor keinen Zielgruppen Halt macht und nicht nur netzaffine junge Menschen anfällt, zeigt sich an einer Performance des nordrhein-westfälischen Rentner-Chors „Die Goldies“.
Warum aber gerade diese Viral-Kampagne zu einem so großen Erfolg geworden ist, das liegt an mehreren Gründen:
- „Schrei nach Liebe“ ist gleichermaßen provokant und bildhaft – gute Voraussetzungen also, um möglichst viele Likes und Shares zu generieren.
- Das Lied passt noch immer haargenau zur momentanen politischen Situation, ist aber zugleich ein Lied mit Tradition, das fast alle Generationen zumindest schon mal gehört haben.
- Die Kampagne hat „einen tieferen Sinn“ – es geht nicht um Spaß und Lacher, sondern mit dem Teilnehmen setzt man ein öffentliches Zeichen und unterstützt eine Hilfsorganisation finanziell. Der „gute Zweck“ also, den sich die PR ebenfalls häufig bewusst zunutze macht.
- Zum anderen – und auch das ist in der PR schon lange bekannt – ist ein gewisser Promifaktor ein guter Nährboden für einen Virus.
Und „Die Ärzte“ sind Promis – keine Frage. Wer jetzt aber hinter der Kampagne eine Intrige wähnt, der muss sich enttäuschen lassen: „Die Ärzte“ haben den Virus nicht lanciert, um ihre Kassen zu füllen, sondern der Musiklehrer Gerhard Torges aus dem niedersächsischen Georgsmarienhütte.
Und auch noch eine weitere Nebenwirkung hat der Virus: Seitdem die „Aktion Arschloch“ läuft, googeln immer mehr Leute das Wort „Attitüde“, schreibt die BILD-Zeitung. Denn die Ärzte singen in der ersten Strophe ihres Chart-Erfolgs: „Hass ist deine Attitüde (…). Alles muss man dir erklären, weil du wirklich gar nichts weißt. Höchstwahrscheinlich nicht einmal, was Attitüde heißt.“ Die Google-Recherche spuckt den Neugierigen dann „Haltung, Einstellung“ aus. „Ob das wohl nur Nazis sind, die das Wort googlen“, fragt sich die BILD-Zeitung augenzwinkernd.