Die richtigen Zahlen in den falschen Händen
Fake News sind überall, das Vertrauen in Mainstream-Medien ist erschüttert und wir diskutieren allen Ernstes darüber, wessen Wahrheit die bessere ist. Zum Glück gibt es noch Forschung und Wissenschaft. Die versorgen uns mit harten, unumstößlichen Fakten, denen jeder vernünftig denkende Mensch zustimmen muss. Studien werden gerne in Diskussionen angeführt, um die eigene Seite mit einem neutralen Standpunkt zu stärken. Trotzdem sollte man auch bei Statistiken vorsichtig sein, denn selbst wenn die Zahlen stimmen, können sie in den falschen Händen eine Menge Unsinn vermitteln.
Das ist nur meine Meinung
Spätestens nach den US-Wahlen haben wir gemerkt, dass Wahlprognosen und die Experten, die sie anstellen, nicht immer recht haben. Vor Kurzem hat ein unabhängiger Statistiker für Aufsehen gesorgt, weil er mit einem modernen Modell andere Ergebnisse für die Bundestagswahl vorhersagt, als alteingesessene Experten. Noch mehr Aufmerksamkeit hat die Studie der Bertelsmann-Stiftung zum bevorstehenden „Schüler-Boom“ bekommen, weil sie die bisherigen Berechnungen des Bildungsministeriums zur Schülerzahl deutlich nach oben korrigierte. Beide Seiten arbeiten wissenschaftlich und können ihre Ergebnisse begründen. Wessen Prognosemodelle aber tatsächlich richtig sind wissen wir erst, wenn wir vor vollendeten Tatsachen stehen.
Wichtig ist, dass man zwischen Prognosen, die auf Wahrscheinlichkeitsrechnung beruhen, und Statistiken, die feststehende Merkmale auswerten, unterscheidet. Seriöse Forscher geben in ihren Prognosen immer an, mit welcher Chance das Vorhergesagte auch tatsächlich eintritt. Spoiler: Es sind nie 100%. Auch die Bertelsmann-Studie kommt mit einem Infotext, der sagt: „Es handelt sich um eine Szenariobetrachtung. Die tatsächlichen Geburtenzahlen und Wanderungsbewegungen werden voraussichtlich von den Annahmen abweichen.“ Dieser wichtige Zusatz hat es aber nur in wenige Meldungen über den Schüler-Boom geschafft.
Ursache und Wirkung
Nur weil zwei Graphen einen ähnlichen Verlauf haben, muss der eine nicht zwingend Ursache des anderen sein. Um das zu beweisen, sucht Tyler Vigen in einem Hobbyprojekt absurde Kurvenpaare, die inhaltlich nicht so richtig zusammen passen.
www.tylervigen.com/spurious-correlations
Obwohl Käsekonsum und Tod durch Bettlaken denselben Verlauf haben, würde keiner auf die Idee kommen, deswegen Käse als Gefahr für die Gesellschaft einzustufen.
Liegen beide Merkmale aber inhaltlich näher beieinander, wie zum Beispiel die Druckauflage von Zeitungen und deren Online-Nutzungszahlen, oder Schulabbrecher und die Arbeitslosenquote in Deutschland, dann stellen schlaue Leute schnell einen Zusammenhang her. Ob dieser den Sachverhalt zu stark vereinfacht oder auf Spekulationen beruht, ist dann schon schwerer zu erkennen.
Zurück auf Null
Eine sehr beliebte Methode, eine Statistik ins rechte Licht zu rücken, ist, die Skala nicht bei Null anfangen zu lassen oder Datenpunkte gleich ganz auszuradieren. Damit fallen kleine Unterschiede auf einmal viel mehr ins Gewicht und normale Schwankungen sehen plötzlich wie dramatische Entwicklungen aus. Das ist zwar ein simpler Trick, den man mit ein bisschen Übung auf den ersten Blick entlarven kann. Trotzdem versuchen seriöse und weniger seriöse Medien immer und immer wieder, mit reißerischen Schaubildern die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
Aus dem Zusammenhang gerissen
„Start-ups sammeln Rekordsumme ein“ war kürzlich eine Schlagzeile bei Spiegel Online. Eine Studie hat herausgefunden, dass Start-ups im ersten Halbjahr in Deutschland 2,16 Milliarden Euro durch Investoren eingenommen haben – mehr als doppelt so viel wie in den ersten sechs Monaten 2016. Das ist eine starke Entwicklung und eine gute Nachricht für alle Start-ups. Allerdings täuscht der erste Eindruck, denn die Statistik wird von zwei Extremfällen verzerrt. Knapp die Hälfte der 2,16 Milliarden Euro entfällt auf nur zwei Projekte, die viel größere Summen gesammelt haben, als die meisten Start-ups. Streicht man diese zwei aus der Rechnung, sieht der Trend schon nüchterner aus. Erst durch den Kontext bekommen solche Werte Bedeutung und wir können sie richtig einordnen. Spiegel Online hat diese Information weiter unten im Artikel erwähnt. Weil ausschweifende Methodenbeschreibungen und Situationsanalysen aber schlecht in eine Überschrift passen, reicht manchmal schon die Zahl alleine aus, um sich eine Meinung zu bilden. Wer gerne Headline-Skimming betreibt, hat sich zwar sowieso schon damit abgefunden, nur die halbe Wahrheit zu bekommen. Es kann aber nicht schaden, bei Statistiken nochmal besonders sensibel zu sein.
Unterm Strich
Jede Statistik kann auf unterschiedliche Arten ausgelegt und dargestellt werden. Häufig steckt hinter den Zahlen noch mehr als das, was uns vorgesetzt wird. In Deutschland achten zwar immer noch viele größere Medien sehr genau darauf, Statistiken möglichst transparent und neutral darzustellen. Trotzdem lohnt es sich, genauer hinzuschauen, wenn wieder ein schockierendes Schaubild oder eine alarmierende Studie die Runde macht.